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Kaliborit


Formel: HKMg2B12O16(OH)10 · 4 H2O, monoklin

Typlokalität: Schmidtmannshall bei Aschersleben, Sachsen-Anhalt

Erstbeschreibung:
FEIT, W. (1889): Ueber Kaliborit, ein neues Borsäure-Mineral.- Chemiker-Zeitung 13, 1188

Erste Erwähnung:
Mitteilung von O. LUEDECKE in: ERDMANN, H. (1889): Sitzung am 4. Juli 1889.- Zeitschrift für Naturwissenschaften 62, 354




Kaliborit. Stassfurt, Sachsen-Anhalt. Größe des Exemplars 7 mm. Sammlung und Foto Thomas Witzke.



         Eine erste Erwähnung

Auf der Sitzung des Naturwissenschaftlichen Vereins in Halle vom 21. Januar 1886 stellte Prof. Otto LUEDECKE (Halle) "Mittheilungen über ein neues stassfurter Mineral, welches den Pinnoit begleitet, in Aussicht" (BAUMERT, 1886) , ohne dass hierzu nähere Angaben gemacht werden. Erst drei Jahre später gibt es den nächsten Hinweis auf das neue Mineral. Im Protokoll der Sitzung dieses Vereins vom 4. Juli 1889 (ERDMANN, 1889) findet sich die kurze Notiz:
"Herr Prof. Dr. Luedecke legte ein neues Mineral aus Leopoldshall vor; dasselbe krystallisiert monoklin und ist ein wasserhaltiges Borat von Magnesium und Kalium. Weitere Mittheilungen behält sich der Vortragende vor".
Leopoldshall, zu der Zeit eine eigenständige Gemeinde, gehört heute zu Stassfurt.


         Die Beschreibung von Kaliborit

Unanhängig von Otto LUEDECKE fand der Chemiker Wilhelm FEIT (1889) unter Pinnoit-Proben von Schmidtmannshall bei Aschersleben ein neues Mineral:
"Schon öfter wurden jedoch rein weisse Stücke beobachtet, welche, da sie ebenfalls in Knollen mit traubiger Oberfläche vorkamen, für sehr reinen Pinnoit gehalten wurden, wenngleich der unebene Bruch sie mehr dem Kieserit ähnlich erschienen liess. Die Beobachtung, dass die Masse unter Wasser wie der Kieserit zu Pulver zerfiel, führte zu einer eingehenderen Untersuchung, wobei sich als Bestandtheile Kali, Magnesia, Borsäure, Wasser und eine sehr geringe Menge Chlor (als Chlornatrium zeigten). Schwefelsäure und Kalk waren nicht vorhanden. Der Verbindung, welche sich schon durch ihren Kaligehalt neben der Borsäure als neues Mineral kennzeichnet, habe ich den Namen 'Kaliborit' beigelegt, da bisher kein kalihaltiges Borat als Mineral bekannt war. [...]
Es wurden verschiedene Stücke analysirt, wovon das eine kurz vorher aufgefunden war, während das andere schon vor längerer Zeit als Pinnoit gesammelt waren. Des ungewöhnlichen Verhältnisses von K2O : MgO (wie 1 : 4,5) wegen wurden zahlreiche Analysen angefertigt, welche sämmtlich gut übereinstimmten. [...] Hiernach ist das moleculare Verhältniss von K2O : MgO : B2O3 : H2O = 1 : 4,5 : 12 : 19,5, woraus sich die etwas complicirte Formel K4Mg9B48O83 + 39 H2O oder 2 K2B6O10 + 9 MgB4O7 + 39 H2O ergiebt. [...] Wie schon bemerkt, zerfallen die Stücke, welche übrigens wie der Pinnoit eine traubige Oberfläche haben, unter Wasser zu einem Pulver, wahrscheinlich in Folge der Auflösung der als Kitt dienenden 1 – 2 Proc. Chlornatrium. Das Pulver erwist sich unter dem Mikroskope als aus wasserhellen, farblosen, scharfkantigen Körnern bestehend, an welchen Krystallflächen mit Sicherheit nicht erkannt werden können.
Von Wasser wird die Verbindung in sehr geringer Menge aufgenommen; die Lösung reagirt alkalisch. Eine Zersetzung findet durch das Wasser nicht statt. Verdünnte Mineralsäuren lösen das Mineral beim Erwärmen sehr leicht auf. Vor dem Lötrohr schmilzt es schwierig zu einem farblosen Glase. Das spec. Gewicht wurde zu 2,05 gefunden."


         Die Beschreibung von Heintzit und Hintzeit

Zwei Jahre nach der Ankündigung von 1889 veröffentlichte Otto LUEDECKE 1891 eine Beschreibung und Analysen des Minerals von Stassfurt. Er nennt das Mineral Heintzit nach dem Hallenser Chemiker Heinrich Wilhelm HEINTZ (1817 - 1880).
"Vorkommen. In den höheren Schichten der Kainitregion zu Stassfurt und Leopoldshall (preuss. Provinz Sachsen) finden sich die zuerst von Herrn Dr. Staute aufgefundenen Knollen von Pinnoit (MgB2O4 + 3H2O); in einem solchen Knollen von Leopoldshall fanden sich Gyps-ähnliche, wasserhelle, durchsichtige, mit lebhafter Spaltbarkeit begabte Krystalle, welche sich als ein neues Mineral herausstellten, welchem obiger Name verliehen wurde. [...]
Die Form. Der Heintzit krystallisirt monosymmetrisch; das Axenverhältnis ist a : b : c = 1,2912 : 1 : 1,7572; β = 57°41,4'.[...]
Uebrige physikalische Eigenschaften. Nach der Basis c{001} und dem positiven Orthohemidoma d{-102} findet eine sehr lebhafte Spaltbarkeit statt; auch nach dem Orthopinakoid ist eine weniger lebhafte vorhanden. Das specifische Gewicht wurde in Alkohol zu 2,129 bei 10° C. bestimmt; in einer Lösung von Cadmiumborowolframiat wurde dasselbe zu 2,109 gefunden; die Härte ist 4. [...]
Name. Ich habe das Mineral »Heintzit« genannt nach dem um die chemische Kenntnis der Stassfurter Borate hochverdienten und leider der Wissenschaft zu früh entrissenen Hallender Chemiker Heintz; gleichzeitig mag das innige Verhältnis der beiden Mineralien Pinnoit und Heintzit auf das Verhältniss der beiden Persönlichkeiten im Leben hindeuten [...]"
LUEDECKE konnte zahlreiche Flächen vermessen und aus den gefundenen Winkeln das oben genannte Verhältnis der Achsen ableiten. Nach der chemischen Analyse stellte er für das Mineral die Formel "H2KMg2B11O20 + 6H2O" auf.

In der selben Zeitschrift wie die Arbeit von LUEDECKE (1891) erschien als unmittelbar vorausgehender Artikel eine Beschreibung eines Kaliumborates von Stassfurt unter dem Namen Hintzeit durch L. MILCH (1891):
"In jüngster Zeit wurden zu Stassfurt Knollen von weissem und gelbem Pinnoit gefunden, die farblose Körner mit deutlichen Spaltungsrichtungen enthielten. Herr Joh. Brunner (Besitzer einer ausgezeichneten Privatmineraliensammlung) in Magdeburg erkannte in diesen Körnern ein für Stassfurt neues Vorkommen und zwar war er gneigt, dasselbe für Colemanit zu halten. Eine gewisse Aehnlichkeit mit letzterem in Glanz und Durchsichtigkeit hat unser Mineral thatsächlich; Krystalle jedoch, die sich später fanden und die Herr Brunner an Herrn Professor Dr. Hintze in Breslau zur Bestimmung schickte, liessen erkennen, dass Colemanit nicht vorliegen könne. Herr Professor Hintze hatte die Güte, mir in liebenswürdigster Weise die Untersuchung des von ihm als neu erkannten Minerals zu überlassen; hierfür und für freundlichste Förderung bei der Untersuchung selbst bin ich ihm zu grösstem Danke verpflichtet.
Die farblosen, durchsichtigen oder trübe weisslichen Krystalle von 2-5 mm Durchmesser sind theils isolirt, theils in gehäuften Aggregaten dem weisslichen bis schwefelgelben, feinkörnigen Pinnoit eingewachsen.
Krystallform: Monosymmetrisch.
Zwei vollkommene, zur Symmetrieebene senkrechte Spaltungsrichtungen. Wählt man die eine derselben zur Basis {001}, die andere und zwar vollkommenere zur Querfläche {100} und ein stets ausgedehnt ausgebildetes prismatisches Flächenpaar zur Grundform {111}, so folgt aus den zu Fundamentalwerthen genommenen Messungen das Axenverhältnis:
          a : b : c = 2,1937 : 1 : 1,73385
          β = 80°12'. [...]
Die Härte des Minerals liegt zwischen der des Flussspathes un der des Apatits, näher der des letzteren. Dichte 2,127. [...]
Die von Herrn Dr. Baurath in Breslau, Assistenten des hiesigen chemischen Laboratoriums, freundlichst ausgeführte Analyse gab die Formel: Mg2KB9O16 + 8H2O. [...]
Ich erlaube mir, für dieses neue Borat den Namen Hintzeït vorzuschlagen."
Die Benennung erfolgte nach dem Mineralogen Carl Adolf Ferdinand HINTZE aus Breslau (1851-1916).





Zeichnungen von "Heintzit"-Kristallen (= Kaliborit) aus Leopoldshall, nach LUEDECKE (1891)



         Heintzit = Hintzeit = Kaliborit

In einer Anmerkung unmittelbar im Anschluss an den Artikel von MILCH (1891) und unmittelbar vor dem von LUEDECKE (1891) schreibt der Herausgebung der Zeitschrift, Paul GROTH:
"Der vorstehende und er folgende Aufsatz behandeln das gleiche Mineral und gingen ungefähr gleichzeitig an die Red. ein. Nach brieflicher Mittheilung desHerrn Luedecke beobachtete er das Mineral als Begleiter des Pinnoit zuerst vor vier Jahren und wies auf dasselbe in der Sitzung des naturwissenschaftlichen Vereins zu Halle am 21. Januar 1886 hin; am 11. Juli legte er ebendaselbst die vorläufigen Resultate der Untersuchung vor und behielt sich weitere Mittheilungen vor (Zeitschr. f. Naturwiss. 62, 354). Herr Milch hat am 11. August d.J. auf der Versammlung der d. geol. Gesellsch. zu Freiburg eine vorläufige Mittheilung über das Mineral gegeben und den Namen »Hintzeït« vorgeschlagen.
Leider haben beide, unabhängig voneinander arbeitende Autoren den Krystallen eine verschiedene Aufstellung gegeben und ihre Analysen differieren erheblich, dass zur definitiven Feststellung der Formel noch weitere Untersuchungen erforderlich sind."

Noch 1891 stellte Wilhelm FEIT die Identität von Heintzit und Hintzeit mit dem Kaliborit fest. Otto LUEDECKE stellte in einer ausführlichen Arbeit ebenfalls die Identität der drei Minerale fest. Er schreibt, dass er den Hintzeit bereits 1885 entdeckt hat. Weiterhin schreibt er, dass seine Bestimmung des Borgehaltes in der Arbeit von 1891 wahrscheinlich zu hoch ausgefallen ist, er nimmt nun einen Wert von 56,30 % an. LUEDECKE kommt zu dem Ergebnis, dass die gemessenen Winkel zwischen den Flächen am Heintzit und Hintzeit übereinstimmen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Aufstellung. Ebenso stimmen die physikalischen Eigenscahften der drei Minerale überein. Als Fazit schreibt er:
"Aus dem Vorhergehenden geht hervor, dass Heintzit, Hintzëit und Kaliborit ein und dasselbe Mineral sind. Der letztere ist nur eine mikrokrystallinische Varietät des ersteren.
Von den der Substanz gegebenen Namen ist der Heintzit nach obigem der älteste, er dürfte also wohl dem Prioritäts-Rechte nach den anderen vorzuziehen sein."
Den Anspruch auf die Priorität begründet LUEDECKE mit der Vorlage des Minerals auf der Sitzung des naturwissenschaftlichen Vereins in Halle am 4. Juli 1889. Der Name des Minerals wurde dort wohl bereits genannt, erscheint jedoch nicht im Protokoll der Sitzung. Da FEIT (1889) als erster Analysendaten, Beschreibung und einen Namen publizierte, liegt die Priorität eindeutig bei ihm und dem Namen Kaliborit.

Die originalen "Heintzit"-Proben von LUEDECKE sind in der Sammlung des Institutes für Geologische Wissenschaften und Geiseltalmuseum, Halle, vorhanden. Die Identität mit Kaliborit konnte durch eine Röntgenanalyse (WITZKE, nicht publiziert) bestätigt werden.





Zeichnung von einem "Hintzeit"-Kristall (= Kaliborit) aus Stassfurt, nach MILCH (1891)



         Weitere Untersuchungen an Kaliborit

Dem Chemiker Jacobus Hendricius VAN'T HOFF (1902) gelang die Synthese von Kaliborit, unter anderem durch Umwandlung aus Pinnoit, aber auch aus Kaliumborat und Magnesiumborat in einer Lösung. Nach seinen Synthesen stellte er als Formel für das Mineral "KMg2B11O19·9H2O" auf.

Nach dem Neufund von bis zu 1 cm messenden Kaliborit-Kristallen im oberen Kainit von Neustassfurt konnte H.E. BOEKE (1910) die optischen Daten des Minerals genauer bestimmen. Er fand die Brechungsindizes α = 1,5081, β = 1,5255 und γ = 1,5500. 2V beträgt 80°38'. Der von LUEDECKE gefundene Brechungsindex von 1,354 ist erheblich zu niedrig.





Zeichnung von Kaliborit in Pinnoit aus Neustassfurt, nach BOEKE (1910)



         Strukturanalysen

Eine Strukturanalyse von Kaliborit führten E. CORAZZA & C. SABELLI (1966) durch. Sie fanden die monokline Raumgruppe C2/c mit den Gitterparametern a = 18,53, b = 8,43, c = 14,665 Å und β = 100°08'. Kaliborit gehört zu den Inoboraten, d.h. Boraten mit Kettenstruktur. Die Struktur weist trigonal-planare und tetraedrische Borat-Gruppen auf.

Bei einer Strukturverfeinerung konnten Peter C. BURNS & Frank C. HAWTHORNE (1994) die Angaben zur Struktur präzisieren und unter anderem auch die Positionen der Wasserstoff-Atome feststellen. An einem Kaliborit aus Kazakhstan bestimmten sie die Gitterparameter a = 18,572, b = 8,466, c = 14,639 Å und β = 100,02°. Pro Zelle sind 4 Formeleinheiten KMg2H[B6O8(OH)5]2(H2O)4 vorhanden. Die Gitterparameter stimmen perfekt mit den von MILCH (1891) gefundenen Achsenabschnitten überein.



Chemische Analyse von Kaliborit (in Masse-%)

    Kaliborit,
  Schmidtmannshall,   
  Aschersleben
  FEIT (1889)
  "Heintzit",
  Leopoldshall bei   
  Staßfurt
  LUEDECKE (1891)   
  "Hintzeit",
  Staßfurt
  MILCH (1891)     
 
  Kaliborit,
  theoretische
  Zusammensetzung   
 
  K2O     6.48     7.39     8.14     6.57
  Na2O         0.39  
  MgO   12.06   12.23   13.80   11.25
  Cl     Spur       0.35  
  B2O3   57.46 1)   60.53   52.39   58.31
  H2O   24.00   19.85 1)   23.83   23.87
  Summe      100.00 100.00   98.90 100.00

1) Differenz


Literatur:
BAUMERT, G. (1886): Sitzung am 21. Januar.- Zeitschrift für Naturwissenschaften 59, 54-56

BOEKE, H.E. (1910): Ueber die Borate der Kalisalzlagerstätten.- Centralblatt für Mineralogie, Geologie und Paläontologie, Jahrgang 1910, 531-539

BURNS, P.C. & HAWTHORNE, F.C. (1994): Kaliborite: an example of a crystallographically symmetrical hydrogen bond.- Canadian Mineralogist 32, 885-894

CORAZZA, E. & SABELLI, C. (1966): The crystal structure of kaliborte.- Atti della Accademia nazionale dei Lincei, Classe di scienze fisiche, matematiche e naturali 41, 527-552

ERDMANN, H. (1889): Sitzung am 4. Juli 1889.- Zeitschrift für Naturwissenschaften 62, 354

FEIT, W. (1889): Ueber Kaliborit, ein neues Borsäure-Mineral.- Chemiker-Zeitung 13, 1188

FEIT, W. (1891) Chemiker-Zeitung 15, 115

LUEDECKE, O. (1891): Über Heintzit, ein neues Borat von Leopoldshall.- Zeitschrift für Krystallographie 18, 481-485

LUEDECKE, O. (1892): Ueber Heintzit und seine Identität mit Hintzëit und Kaliborit.- Zeitschrift für Naturwissenschaften 64, 423-430

MILCH, L. (1891): Über ein neues krystallisiertes Borat von Stassfurt.- Zeitschrift für Krystallographie 18, 478-480

VAN'T HOFF, J.H. (1902): Untersuchungen über die Bildungsverhältnisse der oceanischen Salzablagerungen, insbesondere des Stassfurter Salzlagers. XXVIII. Die künstliche Darstellung von Kaliborit.- Sitzungberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Jahrgang 1902, 1008-1011






© Thomas Witzke / Stollentroll

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