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Freieslebenit


Formel: AgPbSbS3, monoklin

Typlokalität: Grube Himmelsfürst, Brand-Erbisdorf bei Freiberg, Erzgebirge, Sachsen bzw. Grube Alte Hoffnung Gottes, Kleinvoigtsberg bei Freiberg, und Grube Neue Hoffnung Gottes, Bräunsdorf bei Freiberg, Erzgebirge, Sachsen

Erstbeschreibungen:
ROMÉ DE L'ISLE, J.B.L. (1783): Cristallographie, ou Description des formes propres à tous les corps du Regne mineral.- Paris, De l'Imprimerie de Monsieur, Vol. 3, 611 p. (p. 54-55)
     (als "mine d`antimoine grise tenant argent")
FREIESLEBEN, J.C. (1817): Beschreibung einiger in meiner Mineraliensammlung befindlichen merkwürdigen sächsischen Fossilien, nebst historischen und geognostischen Bemerkungen über dieselben. Schilf-Glaserz.- Geognostische Arbeiten 6, Beyträge zur Mineralogischen Kenntniß von Sachsen, zweyte Lieferung, 97-101
     (als "Schilf-Glaserz" bzw. "Schilfglaserz")

Benennung:
HAIDINGER, W. (1845): Handbuch der bestimmenden Mineralogie, enthaltend die Terminologie, Systematik, Nomenklatur und Charakteristik der Naturgeschichte des Mineralreiches.- Wien, bei Braumüller & Seidel, 630 p. (p. 569)
     (als "Freieslebenit")




Prismatischer Kristall von Freieslebenit. Grube Neue Hoffnung Gottes, Bräunsdorf bei Freiberg, Erzgebirge, Sachsen. Bildbreite 1,5 mm. Sammlung und Foto Thomas Witzke.


 
          Die ersten Hinweise auf das Mineral

Die ersten Hinweise auf den Freieslebenit sind aus heutiger Sicht kaum verständlich und schwer nachzuvollziehen, zum Teil verbergen sich auch mehrere, verschiedene Minerale hinter den Angaben. Der Zusammenhang wird erst aus späteren Beschreibungen deutlich, die direkt Bezug auf diese frühen Arbeiten nehmen oder Passagen komplett übernehmen. Es zeigt sich auch, wie schwierig es war, selten vorkommende Minerale zu einer Zeit zu charakterisieren, als die Chemie und Kristallographie noch in ihren Anfängen steckten.

In dem anonym herausgegebenen schwedischen Werk "Försök til Mineralogie" von 1758, bei dem sich später herausstellte, dass es von dem Chemiker Axel Frederic VON CRONSTEDT verfasst wurde, findet sich ein
"Argentum Antimonio Sulphurato mineralisatum.
a. Mörkgrå och litet brunaktig. Leberertz från Braunsdorff i Sachsen."
[Übersetzung: Dunkelgrau und leicht bräunlich. Lebererz von Bräunsdorf in Sachsen.]
Die spärlichen Angaben erlauben aus heutiger Sicht keine Zuordnung, speziell die Bezeichnung "Leberertz" ist sehr merkwürdig. Da es in Bräunsdorf mehrere Silber-Antimon-Sulfide gibt, ist nicht nachzuvollziehen, welches Mineral CRONSTEDT gemeint hat.

1773 veröffentlichte Jean-Baptiste Luis ROMÉ DE L'ISLE einen Katalog seiner Mineralsammlung, in dem er Bezug auf CRONSTEDTs Angaben nimmt. Unter der Spezies "Mine d'argent dans l'Antimoine" schreibt er hier über CRONSTEDTs "Argentum Antimonio Sulphurato mineralisatum":
"Cette mine est ou solide & d'un gris foncé tirant sur le brun, Leber-ertz des Allem., ou in filets élastiques d'un bleu noirâtre, Feder-ertz des Allem."
Übersetzung:
Dieses Erz ist fest und dunkelgrau bis braun, Lebererz der Deutschen, oder bildet elastische Netze von schwärzlichem Blau, Federerz der Deutschen.
Weiter heißt es, dass die Mineralogen das graue gewöhnliche Silbererz oder Fahlerz ("mine d'argent grise ordinaire ou fahlertz") mit dem weißen Silbererz ("mine d'argent blanche") als eine Varietät dieser Spezies einordnen. Hier wird deutlich, dass sich mehrere Minerale darunter verbergen und die Trennung von dem, was in der deutschsprachigen Literatur als "Weißgültigerz" oder "Weißerz" bekannt ist, nicht vorgenommen wird. Zu dem "mine d'antimoine grise solide tenant argent" schreibt ROMÉ DE L'ISLE noch, dass es sich in ein silberhaltiges Federerz umwandelt, wobei ersteres eine ins bläuliche gehende Farbe aufweist und einige Kristallflächen faserig oder gestreift erscheinen. Es wird von einem Spat in linsenförmigen Kristallen begleitet, als Vorkommen wird Freiberg angegeben. An anderer Stelle erwähnt er noch "Braunsdorff, en Saxe".

Etwas deutlicher wird die Beschreibung dann in einem kaum bekannten Werk von Jean DÉMESTE von 1779. Unter der Spezies "Mine d'antimoine tenant argent" mit Verweis auf die oben genannten Werke von CRONSTEDT (1758) und ROMÉ DE L'ISLE (1773) schreibt er hier:
"C'est une mine d'antimoine grise solide & quelquefois cristallisée, qui rend tout a plus sept à huit marcs d'argent par quintal.
Cette mine grise & sulfureuse d'antimoine tenant argent, cristallise en prismes hexaèdres striés & comprimés, terminés par des sommets dièdres. Ces prismes moins allongés que ceux de la mine d'antimoine grise ordinaire [...], paroissent être également une modification de la forme rhomboïdale. Lorsque cette mine grise d'antimoine s'altère & se dècompose, elle donne naissance à la mine d'argent en plumes [...]."
Übersetzung:
Es ist ein graues, festes und manchmal kristallisiertes Antimonerz, das sieben bis acht Mark Silber pro Quintal ergibt.
Dieses graue, schwefelhaltige Antimonerz, das Silber enthält, kristallisiert in gestreiften, kurzen hexaedrischen (= sechsseitigen) Prismen, die durch Zweiflächner (= dachförmige Flächen) begrenzt werden. Diese Prismen sind weniger langgestreckt als die des gewöhnlichen grauen Antimonerzes (= Antimonit) [...], und scheinen auch eine Abwandlung der rhomboidalen Form zu sein. Wenn sich dieses graue Antimonerz umwandelt und zersetzt, entsteht das federartige Silbererz [...].
Quintal ist eine alte Bezeichnung für den Zentner, also 100 Pfund. Mark ist ebenfalls eine Gewichtseinheit, und bezeichnet ein halbes Pfund. Der von DÉMESTE gefundene Silbergehalt beträgt damit lediglich 3,5 bis 4 % und ist damit sehr weit vom tatsächlichen Gehalt im Freieslebenit entfernt. Auch gibt es keinen Hinweis auf einen Bleigehalt. Ob hier eine Fehlanalyse vorliegt, obwohl Analysen auf Silber zu der Zeit sehr gut beherrscht wurden, oder ein anderes Mineral oder ein Gemenge untersucht wurde, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Einen Fundort nennt DÉMESTE nicht.

Ein weiterer Hinweis findet sich bei ROMÉ DE L'ISLE 1780 in dem von ihm zusammen gestellten Auktionskatalog des Mineralogen und Mineralhändlers Jacob FORSTER, zum Teil mit fast wörtlichen Übernahmen aus der vorherigen Literatur:
"Mine d'argent grise antimoniale, en cristaux prismatiques rhomboïdaux & comprimés, lesquels, par leur décomposition, donnet naissance à la mine d'argent en plumes grises qui les accompagne. Ils sont entrêméles de mine de fer spathique en petits cristaux lenticulaires, & de petits cristaux de roche sur une gangue quartzeuse, avec blende, galène & kneis; d'Himmelsfurst." plumes [...]."
Übersetzung:
"Graues antimonisches Silber-Erz, in rhombischen prismatischen, kurzen Kristallen, welche durch ihre Zersetzung zur Entstehung des grauen, federartigen Silbererzes führten, von dem sie begleitet werden. Sie sind vermischt mit Spateisenerz in kleinen linsenförmigen Kristallen, und kleinen Bergkristallen auf Gangquarz, mit Blende, Galenit und Gneis, von Himmelsfürst."



          Eine erste Beschreibung

Nur drei Jahre später findet sich eine ausführlichere Beschreibung, in der das später Freieslebenit genannte Mineral schon deutlicher erkennbar wird. Jean-Baptiste Luis ROMÉ DE L'ISLE befasst sich hier 1783 wiederum mit dem "Mine d'antimoine grise tenant argent", unter explizitem Verweis darauf, dass es die bei CRONSTEDT (1758), in seinen beiden eigenen Werken von 1773 und 1780 sowie bei DÉMESTE (1779) behandelten Minerale einschließt, die hier oben angeführt wurden. Speziell aus der Arbeit von DÉMESTE werden wesentliche Passagen fast wörtlich übernommen.
"Mine d'antimoine grise tenant argent, dite mine d'argent grise antimoniale. [...]
On a trouvé dans la mine d'Himmelsfurst à Freyberg, une mine grise & sulfureuse d'antimoine tenant argent, en cristaux fort éclatans, dont la forme déterminée paroît être un prisme hexaèdre comprimé, terminé par deux sommets dièdres à plans pentagones [...]; mais les cannelures ou stries longitudinales de ce prisme sont pour l'ordinaire si prononcées, que ses facettes se confondent; il se présente alors comme un prisme rhomboïdal renflé dans son milieu, aminci vers les bords (22), & terminé par deux sommets dièdres, dont les plans sont des espéces de triangles isocèles curvilignes. Ces prismes, moins alongées que ceux de la mine d'antimoine grise ordinaire, me paroissent être également une modification de l'octaèdre rhomboïdal. [...] Dans l'un ou l'autre état, elle donne rarement au-delà de sept à huit marcs d'argent par quintal; le reste est de l'antimoine minéralisé par le soufre."
Übersetzung:
"Graues Silber-haltiges Antimon-Erz, genannt graues antimonisches Silber-Erz [...]
Man hat in der Grube Himmelsfürst bei Freiberg ein graues und schwefeliges, Silber-haltiges Antimon-Erz gefunden, in deutlichen Kristallen, deren Form ein kurzes sechsseitiges Prisma zu sein scheint, begrenzt durch zwei fünfeckige Flächen am Scheitelpunkt [...]; aber die Riffelungen oder Längsstreifungen dieses Prismas sind üblicherweise markant, so dass man sie mit kleinen Flächen verwechseln kann; sie zeigen sich nun wie ein rhombisches in der Mitte ausgebauchtes Prisma, schlanker zu den Rändern, und begrenzt durch zwei zweiflächige Scheitel, an denen die Flächen von der Art gekrümmter gleichschenkliger Dreiecke sind. Die Prismen, weniger langgestreckt als die von dem gewöhnlichen grauen Antimon-Erz, erscheinen mir ebenfalls eine Abänderung von dem rhombischen Oktaeder zu sein. [...] In dem einen oder anderen Zustand gibt es selten mehr als 7 bis 8 Mark Silber im Quintal, der Rest ist Antimon mineralisiert mit Schwefel."
Generell wird davon ausgegangen, dass ROMÉ DE L'ISLE hier schon den Freieslebenit beschrieben hat, auch wenn eine gewisse Unsicherheit wegen dem fehlenden Blei und dem viel zu geringen Silbergehalt in der chemischen Analyse bleibt, die allerdings so von DÉMESTE (1779) übernommen wurde.

James Dwight DANA (1868) rechnet auch das von Martin Heinrich KLAPROTH 1795 analysierte Dunkle Weissgültigerz zum Freieslebenit. KLAPROTH untersuchte eine bereits 1720 in der Grube Junger Himmelsfürst, Brand-Erbisdorf, gefundene Stufe, auf der sich derbes, ein Zoll mächtiges Dunkles Weissgültigerz neben Galenit fand. Kristalle traten nicht auf. KLAPROTH fand die Zusammensetzung Ag 9,41, Fe 1,79, Pb 41,73, Sb 21,88, S 22,39, Summe 97,20 % (+ etwas Gangart). Bei dem niedrigen Silber- und dem hohen Bleigehalt erscheint die Zuordnung jedoch auch hier fraglich, zumal keine weiteren Eigenschaften angegeben sind. Vermutlich hat ein Gemenge vorgelegen.


           Erneute Beschreibung als Schilfglaserz

Einige Jahre später wird das Mineral unter dem Namen "Schilfglaserz" von Johann Carl FREIESLEBEN (1817) erneut beschrieben. Die Arbeit von ROMÉ DE L'ISLE kennt FREIESLEBEN offenbar nicht. Während ROMÉ DE L'ISLE sich fast nur mit der Morphologie der Kristalle, speziell auch mit der auffälligen Längsstreifung beschäftigt, geht FREIESLEBEN besonders auf die Eigenschaften des Minerals ein:
"Auf einigen Gängen der Freyberger Refier kömmt bisweilen ein Silbererz vor, das in der Mitte zwischen Sprödglaserz, Weißgiltigerz, Verhärtetes Federerz und Schwarzspiesglaserz, zu stehen scheint; da es sich aber von allen diesen Erzen unterscheidet, könnte man es einstweilen, wenigstens, als eine besondere Art des Sprödglaserzes, vielleicht unter dem Namen Schilfglaserz, so lange aufstellen, bis eine genauere chemische Untersuchung ihm eine festere Stellung, nach erwiesener generischer Verschiedenheit angewiesen wird. Nachstehende Beschreibung wird zeigen, wie es sich in Farbe, Krystallisationsverhältnissen und anderen Eigenschaften, von allen vorgenannten Erzen, und namentlich vom Sprödglaserze unterscheidet. Es ist, in den Exemplaren die ich davon besitze, von einer etwas dunkeln, gemein bleygrauen Farbe; auf dem frischen Bruche ist es lichter, und läuft mit der Zeit etwas dunkler an; so daß es dann ins stahlgrau übergeht, es kömmt vor, in kleine derben Parthien, angeflogen, eingesprengt und krystallisirt,
die Krystalle sind entweder dünne und breite vierseitige Säulen, mit zugeschärften Endflächen, oder längliche sechsseitige Tafeln mit cylindrisch-convexen Seitenflächen; diese beyden Abänderungen haben ein ausgezeichnet schilfartiges Ansehen, und sind stark in die länge gestreift; sie sind meist klein oder sehr klein, und bisweilen zellig durch einander gewachsen; bisweilen kommen sie auch in sehr kleinen, unbestimmbaren, tafelartigen Formen vor; die Oberfläche der Krystalle ist glänzend, ins starkglänzende übergehend, inwendig ebenfalls glänzend und stark glänzend,
von metallischem Glanz,
der Bruch ist theils uneben, von sehr feinem Korn, theil unvollkommen blättrig, von mehrfachen, jedoch noch nicht bestimmbaren, Durchgange der Blätter, der sich besonders durch ein eignes schillerndes Ansehen der Bruchfläche verräth,
die Bruchstücke sind unbestimmt eckig, nicht sehr scharfkantig, es ist undurchsichtig,
wird im Striche etwas schwärzer und glänzender,
ist weich,
milde (jedoch so, daß es sich dem spröden mehr nähert als das Sprödglaserz),
leicht zerspringbar und
schwer (5,941 nach Herrn Inspector Breithaupts Wägung). Es kam ehemals, aber immer nur selten, auf den Gängen von Alte Hoffnung Gottes Erbstolln zu Grosvoigtsberg, mit Schwefelkies, Rothgiltigerz und Grauspiesglaserz auf hornsteinartigen Quarze vor, und ist bisweilen mit einer dünnen Haut von Federez überzogen. Auch besitze ich es, in weniger deutlichen Parthien, ebenfalls in Begleitung von Federerz, Quarz, Schwefelkies und Spuren von Schwarzspiesglaserz, von der Neuen Hoffnung Gottes zu Bräunsdorf.
Es scheint aber auch auf einigen Silbergängen der Bränder Refier, besonders auf den Alten grünen Zweige ehemals vorgekommen zu seyn, und manches, was in früheren Schriften als Schwarzerz, Schwarzgültigerz, Fahlerz, Weißgiltigerz und Sprödglaserz aufgeführt wird, mag wohl hierher gehören, wie denn überhaupt bey den ältern Schriftstellern eine ungemeine Verwirrung zwischen diesen Benennungen herrschte".

In diesem Fall ist es angesichts der fragwürdigen chemischen Analyse, aber guten kristallmorphologischen Beschreibung bei ROMÉ DE L'ISLE (1783) sowie der guten Charakterisierung bei FREIESLEBEN (1817) und der Benennung nach diesem Autor sicher sinnvoll, beide Arbeiten gemeinsam als Erstbeschreibung zu werten.


          Der Name Freieslebenit

Friedrich MOHS nennt das Mineral "Peritomer Antimon-Glanz" (nach BREITHAUPT, 1832). Bei William PHILLIPS (1823) findet es sich als "Sulphuret of Silver and Antimony". 1832 nannte August BREITHAUPT das Mineral "Staurotyper Basitom-Glanz". Edward John CHAPMAN (1843, nach HINTZE, 1904) wählte den Namen "Donacargyrit". James Dwight DANA (1844) stellt den systematischen Namen "Lunites peritomus" nach der LINNÉschen binomialen Nomenklatur auf, abgeleitet von Luna = Mond, dem alchemistischen Symbol für Silber. Wilhelm HAIDINGER führte 1845 schließlich in seiner Mineralsystematik den heute gebräuchlichen Namen Freieslebenit nach dem sächsischen Bergbeamten und Verfasser zahlreicher mineralogischer Arbeiten, Johann Carl FREIESLEBEN (1774 - 1846) ein.
Keinerlei Bedeutung mehr erlangte die Umbenennung des Minerals durch Ernst Friedrich GLOCKER 1847 in "Calamolamprites Freieslebeni, Freieslebenscher Schilfglanz".


          Die chemische Formel für Freieslebenit

Eine erste, allerdings unvollständige chemische Analyse an Material von der Grube Alter Grüner Zweig, Zug bei Freiberg, führte Karl Friedrich PLATTNER (in BREITHAUPT, 1832) durch (siehe Tabelle unten). Eine komplette Analyse für das Mineral von der Grube Himmelsfürst, Brand-Erbisdorf bei Freiberg, liegt von Friedrich WÖHLER (HAUSMANN & WÖHLER, 1839) vor. Er gibt eine sehr komplizierte Formel an, die etwas angepasst an die heutige Schreibweise (aber ohne die damals angenommenen Wertigkeiten zu ändern) lautet: (Ag3Sb2S6 + 2 Pb3Sb2S6) + (Ag2Sb2S5 + PbSb2S4). Als Summenformel würde dies Ag5Pb7Sb10S27 entsprechen. Hierzu ist aber anzumerken, dass für das Atomgewicht von Silber damals noch ein falscher Wert galt, doppelt so hoch wie der tatsächliche, in den Formeln wäre Silber also zu verdoppeln.

Diese komplizierte Zusammensetzung wurde jedoch von anderen Autoren für wenig wahrscheinlich gehalten. Gustav ROSE schreibt 1852:
"Die von Wöhler für das von Freiesleben beschriebene Schilfglaserz aufgestellte Formel [...] ist zu verwickelt, um wahrscheinlich zu sein. Ich habe versucht, sie zu vereinfachen."
In heutiger Schreibweise würde ROSEs Formel lauten: (Pb,Ag)3Sb2S6. Auch hier wäre das Silber noch zu verdoppeln.
Viktor Leopold Ritter VON ZEPHAROVICH gibt 1871 nach Untersuchungen von Material aus Přibram die Formel Ag4Pb3Sb4S11 an und hält Freieslebenit für dimorph mit Diaphorit. PALACHE et al. (1937) berechnen aus den alten Analysen die Formel Ag5Pb3Sb5S12 ohne eigene chemische Analysen vorzunehmen. HELLNER (1957) kommt nach kristallografischen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass die Formel für Freieslebenit PbAgSbS3 lauten muss. Eine chemische Analyse führt er allerdings auch nicht durch. Mikrosondenanalysen an Proben von Freiberg und Bräunsdorf (Sachsen) und Hiendelaencia (Spanien) durch SVESHNIKOVA & BORODAEV (1972) bestätigten schließlich die von HELLNER aufgestellte Formel (siehe Tabelle).


          Kristallografische Untersuchungen

Nach einer ersten Kristallvermessung hält Wiliam PHILLIPS (1823) das Mineral für rhombisch. Als Fundort nennt er die Grube Himmelsfürst bei Freiberg. Auch August BREITHAUPT (1832) gibt rhombische Symmetrie an und listet einige durch C.G.A. VON WEISSENBACH mit dem Anlege-Goniometer vermessenen Flächen auf. Die Dichte des Minerals bestimmte BREITHAUPT zu 6,366 und 6,381.
Eine Reihe von verschiedenen Flächen an Kristallen von der Grube Himmelsfürst listet Armand LÉVY (1837) auf, er macht allerdings keine Angaben zu den Winkeln zwischen den Flächen. Die beschriebenen Exemplare stammen aus der Sammlung von Henri HEULAND. Auch LÉVY nahm rhombische Symmetrie für das Mineral an. Die Resultate umfangreicher Kristallvermessungen wurden 1839 durch Johann Friedrich Ludwig HAUSMANN & Friedrich WÖHLER publiziert. Auch sie finden rhombische Symmetrie für den Freieslebenit. Nach ihren Messungen liegt die Dichte des Minerals bei 6,194 g/cm3.
Henry James BROOKE & William Hallowes MILLER (1852) hielten nach Messungen an einigen guten Kristallen aus BROOKEs Sammlung das Mineral für monoklin. BREITHAUPT revidierte 1866 seine ursprüngliche Ansicht über das Kristallsystem, nach Untersuchungen an Proben von Freiberg betrachtet er den Freieslebenit nun als triklin.

Der neue Fund von einem für Freieslebenit gehaltenen Material in Přibram, Böhmen, und die differierenden Angaben zum Kristallsystem veranlassten Viktor Leopold Ritter VON ZEPHAROVICH (1871), sich intensiver mit dem Mineral zu beschäftigen. Nach umfangreichen kristallografischen Vermessungen fand er:
"1. Die bisher als Freieslebenit bestimmten Minerale gehören zwei verschiedenen Species, einer monoklinen und einer rhombischen an.
2. Diese beiden Species, welche eine gleiche chemische Zusammensetzung besitzen, sind im specifischen Gewichte verschieden.
3. Die Substanz Ag4Pb3Sb4S11, wäre demnach, wenn es gestattet ist von den geringen Differenzen der vorliegenden chemischen Analysen abzusehen, eine dimorphe.
4. Die rhombische Species, für welche ich den Namen Diaphorit, von diaphora Unterschied wähle, kommt in Přibram ausschliessend, untergeordnet neben Freieslebenit auch in Freiberg vor.
5. Die monokline Species der Freieslebenit, dessen Formen übereinstimmend mit Brooke und Miller's Angaben befunden werden, erscheint vorwaltend in Freiberg, ferner in Hiendelaencina".
Das Achsenabschnittsverhältnis gibt ZEPHAROVICH mit a : b : c = 0,5871 : 1 : 0,9277 an, der Winkel zwischen a und c = 87°46', was in der heute üblichen Schreibweise β = 92°14' entspricht.

Weitere kristallografische Untersuchungen an Freieslebenit gibt es erst durch PALACHE et al. (1938). Bei röntgenografischen Untersuchungen fanden sie die Gitterparameter a = 7,53, b = 12,79, c = 5,88 Å, β = 92°14' und die Raumgruppe P21/n. Das Achsenabschnittsverhältnis beträgt a : b : c = 0,589 : 1 : 0,460, die Daten von ZEPHAROVICH stimmen damit sehr gut überein, wenn man seinen Wert für den Parameter c halbiert.

HELLNER (1957) betrachtet Freieslebenit nach Untersuchungen an Proben von Přibram und Hiendelaencina als eine deformierte PbS-Struktur und findet die Raumgruppe P21/a. Nach einer Strukturanalyse von ITO & NOWACKI (1973) an einer Probe von Vascongadas, Spanien, weist Freieslebenit die Gitterparameter a = 7,518, b = 12,809, c = 5,940 Å, β = 92,25° auf und ist isomorph mit Marrit, AgPbSbS3. Die monokline Raumgruppe P21/a wurde bestätigt, die Kristallstruktur weist jedoch signifikante Unterschiede zu dem Modell von HELLNER (1957) auf.



Chemische Analysen von Freieslebenit (in Masse-%)

    mine
  d`antimoine   
  tenant argent
 
 
  DÉMESTE
  (1779)
  Schilfglaserz,   
  Alter Grüner
  Zweig, 
  Zug bei
  Freiberg,
  PLATTNER 1)
  Schilfglaserz,   
  Himmelsfürst,   
  Brand-Erbisdorf, 
  HAUSMANN &
  WÖHLER
  (1839)
  Freieslebenit,   
  Freiberg,   
  SVESHNIKOVA   
  & BORODAEV
  (1972)   
 
  Freieslebenit,   
  Bräunsdorf bei
  Freiberg,   
  SVESHNIKOVA   
  & BORODAEV
  (1972)   
  Freieslebenit,   
  theoretische
  Zusammen-  
  setzung
    
  Ag   3.5 - 4   24.5   23.76   20.8   20.8   20.24
  Pb     28.6   30.08   41.1   41.6   38.87
  Fe     sehr wenig        
  Sb   Haupt-
  bestandteil
  viel   27.05   23.4   23.3   22.84
  S   Haupt-
  bestandteil
  viel   18.71   17.1   16.4   18.05
  Summe          99.60 102.4 102.1 100.00

1)   in BREITHAUPT, 1832






Freieslebenit-Kristalle von der Grube Himmelsfürst, Brand-Erbisdorf bei Freiberg. Aus GOLDSCHMIDT (1918).



Literatur:
BREITHAUPT, A. (1832): Vollständige Charakteristik des Mineral-System's.- Dresden und Leipzig, Arnoldische Buchhandlung, 3. Auflage, 358 p. (p. 267-268 u. 532-533)

BREITHAUPT, A. (1866): Mineralogische Studien.- Leipzig, 122 p. (p. 112)

BROOKE, H.J. & MILLER, W.H. (1852): Elementary introduction to Mineralogy.- London, Gilbert & Rivington, 700 p. (p. 208)

CRONSTEDT, A.F. von [das Buch ist anonym erschienen] (1758): Försök til Mineralogie eller Mineral Rikets Upställning.- Stockholm, Wildiska Tryckeriet, 251 p. (p. 157)

DANA, J.D. (1844): A System of mineralogy, comprising the most recent discoveries.- New York and London, Wiley & Putnam, 2nd edition, 633 p. (p. 490)

DANA, J.D. (1868): A System of Mineralogy. Descriptive Mineralogy, comprising the most recent discoveries. - London, Trübner & Co., New York, John Wiley & Son, 5th edition, 827 p. (p. 93)

DÉMESTE, J. (1779): Lettre XLIII. Sur l'Argent. In: Lettres du Docteur Démeste au Docteur Bernard, Sur la Chymie, la Docimasie, la Cristallographie, la Lithologie, la Minéralogie & la Physique en général. Tome Second.- Paris, Chez Didot & Clousier, 665 p. (speziell p. 449-450)

FREIESLEBEN, J.C. (1817): Beschreibung einiger in meiner Mineraliensammlung befindlichen merkwürdigen sächsischen Fossilien, nebst historischen und geognostischen Bemerkungen über dieselben. Schilf-Glaserz.- Geognostische Arbeiten 6, Beyträge zur Mineralogischen Kenntniß von Sachsen, Zweyte Lieferung. Freyberg, bey Craz und Gerlach, 312 p. (p. 97-101)

GLOCKER, E.F. (1847): Generum et Specierum Mineralium Secundum Ordines Naturales digestorum Synopsis.- Halle, bei Eduard Anton, 347 p (p. 28)

GOLDSCHMIDT, V. (1918): Atlas der Krystallformen, Band IV. Fergusonit - Ixionolith.- Heidelberg, Carl Winters Universitätsbuchhandlung, 212 p. + 133 Tafeln (Tafel 14)

HAIDINGER, W. (1845): Handbuch der bestimmenden Mineralogie, enthaltend die Terminologie, Systematik, Nomenklatur und Charakteristik der Naturgeschichte des Mineralreiches.- Wien, bei Braumüller & Seidel, 630 p. (p. 569)

HAUSMANN, J.F.L. & WÖHLER, F. (1839): Ueber das Schilfglaserz.- Annalen der Physik und Chemie 122 (= Poggendorffs Annalen der Physik und Chemie; 2. Reihe Band 16), 146-158

HELLNER, E. (1957): Über komplex zusammengesetzte sulfidische Erze. II. Zur Struktur des Freieslebenits, PbAgSbS3.- Zeitschrift für Kristallographie 109, 284-295

HINTZE, C. (1904): Handbuch der Mineralogie, Erster Band. Erste Abtheilung. Elemente und Sulfide.- Leipzig, Verlag von Veit & Comp., 1208 p. (p. 1045)

ITO, T. & NOWACKI, W. (1973): The crystal structure of freieslebenite, PbAgSbS3.- Zeitschrift für Kristallographie 139, 85-102

KLAPROTH, M.H. (1795): Untersuchung der Silbererze. 5. Abschnitt. Weissgültigerz.- Beiträge zur chemischen Kenntniss der Mineralkörper, Erster Band, 374 p. (p. 166-177), Posen und Berlin

LEVY, A. (1837): Description d'une collection de minéraux, formée par M. Henri Heuland, et appartenant a M. Ch. Hampden Turner, De Rooksnest, dans le Comté de Surrey et Angleterre.- Londres, Adolphe Richter et Compagnie, A Edimbourg, chez Clarke, a Dublin, chez Milliken, Tome Second, 476 p. (p. 367-369)

PALACHE, C.; RICHMOND, W.E. & WINCHELL, H. (1938): Crystallographic studies of sulphosalts: baumhauerite, meneghinite, jordanite, diaphorite, freieslebenite.- American Mineralogist 23, 821-836

PHILLIPS, W. (1823): An elementary Introduction to the Knowledge of Mineralogy: Comprising some account of the characters and elements of minerals; explanations of terms in common use; descriptions of minerals, with accounts of the places and circumstances in which they are found; and especially the localities of british minerals.- London, printed and sold by W. Phillips, Third Edition, 406 p. (p. 290-291)

ROMÉ DE L'ISLE, J.B.L. (1773): Description méthodique d'une Collection de Mineraux du Cabinet de M. D. R. D. L.- Paris, Chez Didot jeune & Knapen, 299 p. (p. 35-37)

ROMÉ DE L'ISLE, J.B.L. (1780): Catalogue raisonné d'une collection de minéraux, cristallisations, pétrifications, coquilles, et autres objets d'histoire naturelle: dont la vente se sera le lundi 21 février 1780, & jours suivans, á l'Hôtel d'Aligre, rue Saint-Honoré: la feuille de distribution des différents articles qui composent ce catalogue, se délivera quelques jours avant la vente.- Paris, chez Didot jeune, 220 p.

ROMÉ DE L'ISLE, J.B.L. (1783): Cristallographie, ou Description des formes propres à tous les corps du Regne mineral. Vol. 3.- Paris, De l'Imprimerie de Monsieur, 611 p. (p. 54-55)

ROSE, G. (1852) Das Krystallo-chemische Mineralsystem.- Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 156 p. (p. 58-61)

SVESHNIKOVA, O.L. & BORODAEV, Yu.S. (1972): The chemical composition of freieslebenite.- Tr. Mineral. Muzeya Akad. Nauk. SSSR 21, 133-138 (in russ., Abstr. in American Mineralogist 58, 1973, 139-141)

ZEPHAROVICH, V. Ritter von (1871): Über Diaphorit und Freieslebenit.- Sitzungsberichte der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Akademie der Wissenschaften (Wien) 63, 130-156



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