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Digenit


Formel: Cu9S5, kubisch

Typlokalität: Sangerhausen, Sachsen-Anhalt (und ein nicht näher bekannter Fundort in Chile)

Erstbeschreibung:
BREITHAUPT, A. (1844): Zwei neue Kupfer enthaltende Mineralien aus der Ordnung der Glanze.- Annalen der Physik und Chemie 137 (= Poggendorffs Annalen der Physik und Chemie 61), 671-675




Digenit verwachsen mit etwas Bornit (analysierte Probe). Fortschritt-Schacht I, Volkstedt bei Mansfeld, Sachsen-Anhalt. Größe des Exemplars 6 mm. Sammlung und Foto Thomas Witzke.



         Digenit aus Sangerhausen

August BREITHAUPT beschreibt 1844 ein neues Kupfersulfid, das er "in der Sammlung des Herrn Berghauptmanns Freiesleben unter den Kupferglanzen von Sangerhausen" fand. Ein weiteres Exemplar stammt von einem nicht näher bezeichneten Fundort in Chile:
"2) Digenit.
Die mineralogischen Charaktere sind folgende:
Metallisch glänzend bis wenig glänzend, im Striche glänzender werdend.
Farbe: schwärzlich bleigraue, in der mehr glänzenden Abänderung lichter, als in der weniger glänzenden.
Strich: schwarz.
Derbe Gestalt. Bruch: muschlig, zur Zeit ohne Spur von Spaltbarkeit.
Sehr milde.
Härte 2½ bis 3¼.
Nicht sonder schwer zerspringbar.
Specifisches Gewicht: 4,568 der von Sangerhausen in Thüringen [Sangerhausen gehört heute zu Sachsen-Anhalt - T.W.], 4,680 der aus Chile.
Die erste Abänderung des Digenits lernte ich als Hülle des Cuproplumbits aus Chile kennen, die zweite findet sich zu Sangerhausen in Thüringen 1) mit gemeinem Kupferglanze, sitzt auf Kristallen desselben auf, und zeichnet sich durch etwas lichtere Farbe und durch eine scharfe Gränze bei der Verwachsung aus. Beide Abänderungen dunkeln beim Anlaufen und nehmen dann Blau in die Farbenmischung auf. Das chemische Verhalten ist, nach Hrn. Prof. Plattner, wie folgt:
»In einer an dem einen Ende zugeschmolzenen Glasröhre giebt das Mineral Spuren von Schwefel und Wasser aus. In einer an beiden Enden offnen Glasröhre giebt es schweflige Säure in Menge. Auf Kohle schmilzt es ganz wie Schwefelkupfer, und verbreitet einen starken Geruch nach schwefliger Säure.
Nach quantitativen Löthrohrproben enthält es:
      70,20 Kupfer
        0,24 Silber
und der Verlust 29,56, ist als Schwefel mit Einschluss einer Spur von Wasser anzusehen. Diesem nach ist die Mischung als eine Verbindung von Cu [Druckfehler, es muss Ću heißen - T.W.], d.i. Kupferglanz mit Ću, d.i. Kupferindig zu betrachten.«
Ću + 2Ću würde aus 70,77 Kupfer und 29,23 Schwefel bestehen, und das Mineral darf wohl mit dieser Formel bezeichnet werden Darauf bezüglich ist auch der Name gebildet von διγενης, d.i. von zweifacher Abkunft, von zweifachem Geschlechte.
1) Dieser Fundort liefert also: Kupferglanz, Kupferindig und Digenit, oder Ć, Ć und 2Ć+Ć."
Mit "Mischung" in der Angabe von PLATTNER ist kein Gemenge, sondern die Verbindung gemeint. In den Formelsymbolen steht der Querstrich für eine Verdoppelung des Elements, der kleine Schrägstrich über dem Symbol steht für Schwefel. Die unterschiedlichen Symbole für Kupfer, Cu und C, wurden tatsächlich so in der Veröffentlichung verwendet. Die von BREITHAUPT angegebene Formel entspricht in heutiger Schreibweise Cu5S3.

Friedrich RAMMELSBERG korrigiert 1845 die Formel von Digenit in
"              ĆuĆu3,
welche enthalten muss:
Kupfer     5 At. = 1978,47   = 71,09
Schwefel 4  - =   804,66   = 28,91
   2783,13   100.
[...] Irrthümlich ist a.a.O. [gemeint ist bei BREITHAUPT - T.W.] die Formel Ću2Ću gegeben und zu 70,77 Kupfer und 29,23 Schwefel berechnet worden. Sie würde 76,6 Kupfer erfordern."
Die von RAMMELSBERG aufgestellte Formel lautet in heute üblicher Schreibweise Cu5S4.



         Ein eigenständiges Mineral oder ein Gemenge?

1865 beschrieb H. HAHN ein neues Kupfersulfid von der Insel Carmen im Golf von California, USA, und nannte es nach dem Fundort Carmenit. Es soll chemisch zwischen Kupferglanz (Chalcosin) und Digenit stehen und die Formel "Cu2S + CuS" aufweisen. August BREITHAUPT (1866) stellt kurz darauf fest, dass Beschreibung und chemische Analyse des Carmenits völlig mit den Angaben zum Digenit übereinstimmen.

Adolf KENNGOTT (1868) bezweifelt die Existenz des Carmenits und gibt an, dass "er ein inniges Gemenge von Chalkosin und Covellin darstellen dürfte". Parallel dazu findet James Dwight DANA (1868) visuell größere Mengen Covellin im Carmenit und sieht ihn ebenfalls als ein Gemenge an. Auch beim Digenit nimmt er an, dass es sich wahrscheinlich um ein Gemenge von Chalcosin und Covellin handelt. Er führt ihn deshalb nicht mehr als eigene Spezies, sondern erwähnt den Digenit nur noch bei der Beschreibung des Chalcosins. Eigene Untersuchungen hatte DANA am Digenit jedoch nicht durchgeführt.

Die Ansicht von DANA (1868) fand offenbar weite Verbreitung. Auch in dem 'Handbuch der Mineralogie' von Carl HINTZE von 1909 gilt der Digenit nicht mehr als eigenständige Spezies, sondern wird unter dem Chalcosin (Kupferglanz) mit abgehandelt.



         Die Revalidierung von Digenit

Bei Untersuchungen im System Cu2S - CuS fand Newton W. BUERGER (1942) bei Syntheseexperimenten eine Phase mit der Zusammensetzung Cu9S5. Röntgenografische Analysen zeigten deutlich, dass es sich um eine separate Phase und kein Gemenge handelt. BUERGER vermutete, dass die beiden als diskreditiert geltenden Minerale Digenit und Carmenit damit identisch sein könnten und fertigte deshalb auch von ihnen Röntgenanalysen an. Er verwendete hierzu eine Probe Digenit von Mansfeld, Sachsen-Anhalt sowie einen Carmenit von der Insel Carmen. Letzteres erwies sich als Cu9S5, jedoch in Verwachsung mit Covellin. Die Probe Digenit von Mansfeld stimmte völlig mit dem synthetischen Cu9S5 überein. Ebenfalls identisch damit ist der aus der Auflichtmikroskopie von Erzanschliffen bekannte "blaue isometrische Chalcosin". BUERGER schreibt als Fazit:
X-ray studies of the system Cu2S - CuS have shown the existence of the compound Cu9S5 as a separate phase. The diffraction pattern produced by this intermediate compound corresponds with that obtained from a type specimen of digenite, a mineral apparently among Dana's discredited species. There is no room for doubt now that the mineral exists, and is indeed the familiar "isometric chalcocite". [...] Since digenite is in fact a rather common mineral occurring with chalcocite and other copper ore minerals, it must be re-established as a species."
Rätselhaft ist die Angabe von BUERGER, dass er ein Typexemplar von Digenit aus Mansfeld verwendet hat. BREITHAUPT (1844) hatte den Digenit aus dem benachbarten Kupferschiefer-Revier von Sangerhausen beschrieben. Leider macht BUERGER keine Angaben, aus welcher Sammlung das untersuchte Exemplar stammte.

Paul RAMDOHR (1955) fand bei seinen erzmikroskopischen Untersuchungen, dass Digenit von Sangerhausen eine Verwachsung von Chalcosin und Covellin sein. Für die von BUERGER (1942) beschriebene Phase schlug er den Namen "Neodigenit" vor. Dieser Vorschlag erfuhr zwar eine gewisse Verbreitung, setzte sich aber schließlich nicht durch.
Die Commission on New Minerals and Mineral Names der International Mineralogical Association (1960) stimmte über die Namen Digenit und Neodigenit ab. Die Bezeichnung Digenit wurde dabei eindeutig favorisiert. Neodigenit ist damit zu streichen und nicht mehr zu verwenden.

Durch erzmikroskopische und röntgenografische Untersuchungen konnte Digenit durch Jürgen SIEMROTH & Thomas WITZKE (1999) von mehreren Vorkommen in den Kupferschiefer-Vererzungen bei Sangerhausen und Mansfeld nachgewiesen werden. Zu nennen sind hier z.B. der Röhrigschacht von Wettelrode bei Sangerhausen, der Thomas-Müntzer-Schacht von Sangerhausen, der Paulschacht (Otto-Brosowsky-Schacht) von Siersleben bei Mansfeld oder der Fortschritt-Schacht I von Volkstedt bei Mansfeld.



         Kristallografische Untersuchungen

Paul RAHLFS (1936) erhielt von synthetischem Cu1,80S = Cu9S5 Röntgenpulverdaten, die einem kubischen Gitter mit a = 5,575 Å entsprachen. Versuche zur Modellierung einer kubischen Struktur erwiesen sich jedoch nicht als erfolgreich, so dass RAHLFS annahm, dass wahrscheinlich doch keine kubische Symmetrie vorliegt.
G. DONNAY et al. (1958) fanden nach Präzessions- und Weissenberg-Aufnahmen, dass synthetischer Digenit eine pseudo-kubische Subzelle mit a = 5,54 Å aufweist und sich erst mit einer Zelle a = 27,71 Å, dem fünffachen der Subzelle, kubisch indizieren lässt. Für das Material kann eine kleinere rhomboedrische Zelle mit den ungewöhnlichen Parametern a = 16,16 Å und α= 13°56' und Z = 1 angegeben werden. Die Parameter in hexagonaler Aufstellung lauten a = 3,92 und c = 48,0 Å mit Z = 3. Das Material zeigt eine Gitterverzwilligung.

Nobuo MORIMOTO & G. KULLERUD (1963) fanden für synthetisches Cu9S5 drei Polymorphe: eine Hochtemperaturform, eine Tieftemperaturform und eine metastabile Übergangs-Form. Die Hochtemperatur-Polymorphe ist oberhalb von 73°C stabil und kristallisiert kubisch, Fm3m, mit a = 5,570 Å. Die metastabile Form wird bei Abkühlung von 73°C oder höher erhalten und ist kubisch, Fd3m, mit a = 27,85 Å. Die kubische Symmetrie entsteht durch Verzwilligung feiner rhomboedrischer Domänen. Diese Form entspricht der von DONNAY et al. (1958) beschriebenen. Im Lauf der Zeit wandelt sie sich in eine stabile, ebenfalls kubische Form mit a = 27,85 Å um. Natürlicher Digenit entspricht der stabilen Tieftemperaturform.

Nach Nobuo MORIMOTO & Atsuo GYOBU (1971) ist in natürlichem Digenit stets ein geringer Gehalt an Eisen (ca. 1 Atom-%) vorhanden. Syntheseexperimente zeigten für den Digenit ein Stabilitätsfeld im Bereich von 0,4 - 1,6 Atom-% Fe. Die Raumgruppe für die Niedrigtemperaturform ist auch Fm3m und nicht, wie vorher angenommen, Fd3m. Da Eisen als essentiell für die Stabilität von Digenit angenommen wird, muss man davon ausgehen, dass die Eisenatome geordnet in der Struktur verteilt sind. Das dafür notwendige Arrangement lässt sich jedoch nicht mit den Röntgendaten und der Symmetrie vereinbaren. MORIMOTO & GYOBU gehen deshalb davon aus, dass die Raumgruppe Fm3m das Resultat komplexer Texturen wie Domänen-Strukturen oder sehr feiner Verzwillingung ist. Die tatsächliche Raumgruppe von Niedrigtemperatur-Digenit dürfte deshalb zu einem viel niedriger symmetrischen System gehören. Für natürlichen Digenit fanden die Autoren eine kubische Subzelle mit a = 5,5575 - 5,565 Å. Neben dem Digenit mit einem fünffachen der Subzelle (5a-Überstruktur) gibt es in natürlichen Digeniten auch nicht-integrale Überstrukturen.
Die Identifizierung von natürlichem Digenit durch eine Röntgenpulveranalyse wird dadurch erschwert, dass sich Anilit, Cu1,75S, beim Mörsern sehr leicht in Covellin und eine Digenit-Überstruktur umwandelt, deren Pulverdaten kaum von denen von originalem Digenit zu unterscheiden sind. [Anmerkung TW: diese Umwandlung lässt sich durch sehr vorsichtiges Zerdrücken des Materials zu einem Pulver vermeiden]

Larry PIERCE & Peter R. BUSECK (1978) fanden bei Untersuchungen von Bornit und Digenit mit einem hochauflösenden Elektronenmikroskop zahlreiche Überstrukturen. Als eine Ursache für diese Überstrukturen konnten Vakanz-reiche und -arme Cluster festgestellt werden. Daneben gibt es verschiedene geordnete oder halb-geordnete Vakanzen im Gitter. Verwachsungen von Digenit, Djurleit und Chalcosin wurden von Mihály PÓSFAI und Peter R. BUSECK (1994) untersucht. Dabei zeigte sich, dass Digenit und Djurleit Verwachsungen aus wenige Nanometer breiten Bändern bilden können. Dabei liegt (111) von Digenit parallel zu (100) von Djurleit, wobei Sequenzen aus alternierenden Paketen mit kubischer und hexagonaler dichtester Kugelpackung entstehen.

Weitere Strukturanalysen an Digenit führten WILL et al. (2002) aus. Für synthetischen Digenit bei 200°C bestätigten sie die Raumgruppe Fm3m. Der Gitterparameter a liegt bei 5,589 Å. Es sind zwei nicht voll besetzte Positionen für das Cu vorhanden. Bei höheren Temperaturen bleibt die Raumgruppe erhalten, jedoch verteilt sich das Cu auf weitere, zum Teil stark unterbesetzte Positionen.



Chemische Analyse von Digenit (in Masse-%)

    Digenit
  BREITHAUPT (1844) 1)    
  Digenit,
  theoretische
  Zusammensetzung   
  Cu   70.20   78.11
  Ag     0.24  
  S   29.56 2)   21.89
  Summe    100.00 100.00

1) Analyse von PLATTNER
2) Differenz, nicht analysiert


Literatur:
BREITHAUPT, A. (1844): Zwei neue Kupfer enthaltende Mineralien aus der Ordnung der Glanze.- Annalen der Physik und Chemie 137 (= Poggendorffs Annalen der Physik und Chemie 61), 671-675

BREITHAUPT, A. (1866): Mineralogische Studien.- Leipzig, Verlag von Arthur Felix, 122 p. (p. 112-113)

BUERGER, N.W. (1942): X-ray evidence of the existence of the mineral digenite, Cu9S5.- American Mineralogist 27, 712-716

DANA, J.D. (1868): A System of Mineralogy. Descriptive Mineralogy, comprising the most recent discoveries.- London, Trübner & Co., New York, John Wiley & Son, 5th edition, 827 p. (p. 53)

DONNAY, G.; DONNAY, J.D.H. & KULLERUD, G. (1958): Crystal and twin structure of digenite, Cu9S5.- American Mineralogist 43, 228-242

HAHN, H. (1865): Carmenit, ein neues Mineral.- Berg- und hüttenmännische Zeitung 24, 86-87

HINTZE, C. (1904): Handbuch der Mineralogie. Erster Band. Erste Abtheilung. Elemente und Sulfide.- Leipzig, Verlag von Veit & Comp., 1208 p. (p. 524)

International Mineralogical Association, Commission on New Minerals and Mineral Names (1960): (Report).- Mineralogical Magazine 33, 260-263

KENNGOTT, A. (1868): Uebersicht der Resultate mineralogischer Forschungen in den Jahren 1862 - 1865.- Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 482 p. (p. 306-307)

MORIMOTO, N. & GYOBU, A. (1971): The composition and stability of digenite.- American Mineralogist 56, 1889-1909

MORIMOTO, N. & KULLERUD, G. (1963): Polymorphism in digenite.- American Mineralogist 48, 110-123

PIERCE, L. & BUSECK, P.R. (1978): Superstructuring in the bornite-digenite series: a high-resolution electron microscopy study.- American Mineralogist 63, 1-16

PÓSFAI, M. & BUSECK, P.R. (1994): Djurleite, digenite, and chalcocite: Intergrowths and transformations.- American Mineralogist 79, 308-315

RAHLFS, P. (1936): Über die kubischen Hochtemperaturmodifikationen der Sulfide, Selenide und Telluride und des einwertigen Kupfers.- Zeitschrift für physikalische Chemie (B) 31, 157-194

RAMDOHR, P. (1955): Die Erzmineralien und ihre Verwachsungen. 2. Auflage.- Berlin, Akademie-Verlag, 826 p. (p. 338)

RAMMELSBERG, C.F. (1845): Repertorium des chemischen Theils der Mineralogie. Zweites Supplement zu dem Handwörterbuch des chemischen Theils der Mineralogie.- Berlin, Verlag von C.G. Lüderitz, 180 p. (p. 42-43)

SIEMROTH, J. & WITZKE, T. (1999): Die Minerale des Mansfelder Kupferschiefers.- Schriftenreihe des Mansfeld-Museums (Neue Folge) 4, 1-66

WILL, G.; HINZE, E. & ABDELRAHMAN, A.R.M. (2002): Crystal structure analysis and refinement of digenite, Cu1.8S, in the temperature range 20 to 500° C under controlled sulfur partial pressure.- European Journal of Mineralogy 14, 591-598





© Thomas Witzke / Stollentroll

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